Modul: Orientierung vor Ort/Verkehr/Mobilität
Der Unterricht von Erstorientierungskursen stellt eine besondere Herausforderung dar: Zum einen sind die Kurse sehr heterogen—die Teilnehmenden verfügen über sehr unterschiedliche Sprachkenntnisse. Zum anderen sind die Kurse für einige Teilnehmende eine erste schulische Erfahrung. Die Situation wird zudem eine weitere Herausforderung vor dem Hintergrund, dass manche der Teilnehmenden traumatische Erlebnisse hinter sich haben und es vielen schwer fällt, sich über längere Zeit zu konzentrieren und still zu sitzen.
Um die Lernumgebung für die Teilnehmenden möglichst anregend zu gestalten und ihren Lernerfolg zu steigern, gestalte ich den Unterricht so, dass die Teilnehmenden viel selbst aktiv handeln können. Dazu gehört zum Beispiel, dass ich Bewegung in den Unterricht einbeziehe. So unterstütze ich den Lernprozess über die Aktivierung möglichst aller Sinne, was nicht nur förderlich für diese besondere Zielgruppe ist, sondern auch wissenschaftlich gestützt ist: Sowohl in Studien mit Kindern als auch mit Erwachsenen konnten Wissenschaftler zeigen, dass Bewegung einen positiven Einfluss auf die Behaltensleistung und Konzentrationsfähigkeit hat.
In Erstorientierungskursen profitieren die Teilnehmenden aber auch noch aus anderen Gründen von Bewegung im Unterricht. Die Kurse werden meist in 4-5 Unterrichtseinheiten am Stück unterrichtet. Bewegung kann gegen die unweigerlich einsetzende Müdigkeit helfen. Bewegung lockert nicht nur den Körper, aber auch die Stimmung in der Gruppe und kann helfen Hemmungen abzubauen.
Ich bringe Bewegung auf unterschiedliche Arten in den Unterricht ein: lernbegleitend, zum Beispiel durch Bewegungspausen oder durch bewegte Lernorganisation (also z.B., wenn die Teilnehmenden sich für eine Gruppenarbeit von ihrem Sitzplatz wegbewegen müssen). Bewegung spielt in meinem Unterricht aber auch eine lernerschließende Rolle, wenn „durch und in Bewegung“ gelernt wird.
Natürlich kann Bewegung in allen Modulen eingebracht werden, aber in dem Modul „Orientierung vor Ort/Verkehr/Mobilität“ kann Bewegung ganz natürlich in den Lernprozess integriert werden.
Eine Einheit im Modul „Orientierung vor Ort/Verkehr/Mobilität“ hat das Ziel, dass Teilnehmende nach dem Weg fragen können und Wegbeschreibungen auch umsetzen können. Teilziele sind dabei der Wortschatz zu Orts- und Richtungsangaben, sowie der Imperativ für du und Sie. Ich beginne immer mit der Einführung der Begriffe zu Ortsangaben. Ich starte die Einheit damit, dass ich mich vor einen Stuhl stelle und sage „vor“. Dann stelle ich mich hinter den Stuhl und sage „hinter“, dann stelle ich mich neben den Stuhl und sage „neben“ usw. Spätestens, wenn ich „unter“ sage und versuche unter den Stuhl zu kriechen, lachen alle. Solche Slapstickeinlagen erhellen die allgemeine Stimmung und animieren auch Kursteilnehmende die Übung mit Humor anzugehen. Außerdem habe ich beobachtet, dass das Wort „unter“ danach besonders gut sitzt.
Sobald ich eine Auswahl an brauchbaren Präpositionen eingeführt habe, bitte ich die Teilnehmenden aufzustehen und sich auf meine Anweisung hin korrekt zu positionieren. Sobald alle stehen, sage ich zum Beispiel: „vor“. Idealerweise stellen sich alle Teilnehmenden „vor“ ihren Stuhl, oder ich sage „zwischen“, und alle stellen sich zwischen ihren und den Stuhl ihres/r Nachbarn*in. Die Übung fällt einigen schwer, insbesondere die Unterscheidung zwischen „rechts“ und „links.“ fällt vielen am Anfang schwer, aber die Übung ist immer unterhaltsam und weckt auch die müdesten Teilnehmenden. Zu einem späteren Zeitpunkt wiederhole ich diese Einheit mit ganzen Sätzen, wie zum Beispiel: „Gehen Sie hinter den Stuhl”.
Danach behandeln wir die Richtungsangaben. Wieder spreche ich diese vor und unterstütze das Verständnis pantomimisch. Dazu nutze ich alle Möglichkeiten, die wir vor Ort haben. Zum Beispiel gehe ich zur Tür des Klassenzimmers hinaus und sage „hinaus“ und komme wieder herein und sage: „hinein“. Was ich nicht vormachen kann, zeichne ich an die Tafel. Wie bei den Ortsangaben, bitte ich die Teilnehmenden die Richtungsangaben selbst aktiv zusammen in Zweier- oder Dreiergruppen zu üben.
Danach führe ich den Imperativ ein. Dazu erhalten die Teilnehmenden ein Arbeitsblatt, das sie in Einzel- oder Gruppenarbeit ausfüllen können. Nachdem sie den Imperativ auf dem Papier gelernt haben, üben sie sich gegenseitig einfache Anweisungen zu geben und auszuführen. Zum Beispiel: „Stehen Sie auf!“, oder „Geh hinaus!“. Diese Übung ist sehr beliebt bei den Teilnehmenden. Gerne schicken sie sich gegenseitig „in die Wüste“ und kreuz und quer durch das Gebäude und es wird viel gelacht.
Sobald sie das Prinzip verstanden haben, übertragen Teilnehmende häufig das Gelernte auf andere Kontexte und es kommen Anweisungen wie: „Iss Banane! oder „Umarm Lehrerin!“ und alle lachen.
Mehr zu dem wissenschaftlichen Hintergrund zu Lernen mit und in Bewegung: „Lernen: Mit Bewegung geht’s leichter.“ In: Gehirn&Geist 1-2/2013.
„Von der Bewegungspause zum bewegten Unterrichten.“ In: Studie zur Entwicklung von Bewegung, Spiel und Sport in der Ganztagsschule. Projekt StuBSS, Universität Marburg.
https://www.uni-marburg.de/fb21/ifsm/ganztagsschule/schulmaterial/workshop (Zugriff: 30.03.2020)
Meine Name ist Katia. Seit 2016 unterrichte ich Deutsch als Fremdsprache an der Universität Heidelberg und seit September 2018 Erstorientierungskurse im Ankunftszentrum Heidelberg. Ich kann ehrlich sagen, dass ich in den letzten eineinhalb Jahren in meinen Kursen nur sehr nette Menschen kennengelernt habe. Was ich am meisten an meiner Arbeit schätze, ist der Austausch mit Menschen aus aller Welt, und dass in meinen Kursen immer sehr viel gelacht wird. Humor mag kulturell geprägt sein, aber in meinen Kursen hat er sich immer als verbindendes Element gezeigt.