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Einordnung der Erstorientierungskurse

Ein Ansatz von Lea Engisch und Jörg Könözsi.

“Nicht Fleisch nicht Fisch” ist eine Antwort, die wir oft zu hören bekommen, wenn es um die Einordnung von Erstorientierungskursen geht. Die offizielle Beschreibung des BAMF (In diesen Kursen erhalten Asylbewerberinnen und Asylbewerber wesentliche Informationen über das Leben hier und erwerben gleichzeitig erste Deutschkenntnisse), hilft da auch nicht immer weiter. Nein, es sind keine “reinen” Sprachkurse und werden deshalb auch oft nicht in sonstige Sprachlernangebote integriert. Dabei könnten die Erstorientierungskurse ein wichtiger Baustein für weitere Angebote sein.

Fast jeder Zweite scheitert im Integrationskurs am Deutschtest” (Handelsblatt), doch sucht man die Deffizite fast nur bei Anbieter*innen der Integrationskurse und nicht so oft im System an sich. Was könnten Erstorientierungskurse zu einer besseren Quote beitragen?

In Erstorientierungskursen sind sehr oft Pädagog*innen und Sozialpädagog*innen beschäftigt, die keine klassische Ausbildung in “Deutsch als Zweitsprache” (DaZ) haben. Gerade diese Berufsgruppe lässt sich sehr stark auf den Menschen hinter dem/der Teilnehmenden ein und versucht eine ganzheitliche Herangehensweise an die Herausfoderung “Deutsch lernen” zu erreichen. Die Lehrkräfte besitzen durchaus sehr viel Wissen über die einzelnen Teilnehmenden und deren Fähigkeiten, Schwächen und Stärken. Diese Informationen werden beim weiteren Spracherwerb leider nicht beachtet.

Warum sprechen wir gerade von diesen oft “zwischenmenschlichen” Erfahrungen und den Stärken der Lehrkräfte in den Erstorientierungskursen als Pädagog*innen? Weil uns dieser Umstand ganz nah an eine Einordnung heranführt, die wir im allgemeinen für Schüler*innen in Deutschland als Grundlage betrachten: die Grundschule.

Im nachfolgenden haben wir einen Text umgewandelt, der die Grundschule in Baden-Württemberg beschreibt. Grundschule wurde ersetzt durch Erstorientierungskurs, Schüler*innen durch Teilnehmende. Dieser Vergleich von Erstorientierungskursen mit Grundschulen, soll die erwachsenen Menschen mit Fluchterfahrung nicht mit Kindern gleichsetzen, sondern den systematischen Aufbau des Lernprozesses in einer neuen Umgebung in einen größeren Zusammenhang bringen. Hier also unser Ansatz:

Wenn der Erstorientierungskurs die Grundschule wäre…

Ziele

In die Erstorientierungskurse treten Teilnehmende mit unterschiedlichen individuellen Lernvoraussetzungen und Lernerfahrungen ein. Sie bringen, geprägt von der Familie und beeinflusst durch die Umwelt, unterschiedliche Einstellungen, Erwartungen und Hoffnungen in die Kurse mit. Unabhängig von dieser individuellen Entwicklung sollen die Teilnehmenden am Ende des Kurses über vergleichbare Grundkenntnisse und Fertigkeiten verfügen.

Aufgaben

Der Erstorientierungskurs

  • fördert die verschiedenen Begabungen der Teilnehmenden in einem gemeinsamen Bildungsgang
  • weckt die sittliche, religiöse und freiheitlich-demokratische Gesinnung, auf der das Zusammenleben gründet
  • übt Verhaltensweisen und Umgangsformen ein, die für das Miteinanderleben – auch in den Kursen – wichtig sind
  • befähigt die Teilnehmenden, aufeinander zu hören und voneinander zu lernen, und hält Frauen und Männer zu einem partnerschaftlichen Verhalten an
  • erzieht zum selbstverständlichen Umgang mit Menschen unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft sowie zum Zusammenleben mit Menschen mit Behinderungen
  • fördert das Bewusstsein für elementare, technische, wirtschaftliche und ökologische Zusammenhänge und erzieht zur Verantwortung gegenüber der Natur
  • setzt die im bisherigen Alter begonnenen vielfältigen Lernprozesse fort
  • entfaltet verborgene und noch nicht entwickelte Fähigkeiten oder Eigenschaften durch fördernde und ermutigende Hilfen
  • führt die Teilnehmenden zu den systematisierten Formen schulischen Lernens und Arbeitens
  • fördert die Kräfte des eigenen Gestaltens und des schöpferischen Ausdrucks
  • strebt den Erwerb gesicherter Kenntnisse an und übt Fertigkeiten ein, die für die Lebensbewältigung wichtig und für den Spracherwerb grundlegend sind.

(Abgewandelt aus den allgemeinen Informationen zu Grundschulen des Kultusministerium Baden-Württemberg)

Ein Kommentar

  1. Liebe Lea Engisch und lieber Jörg Könözsi,
    was für eine anregende und weiterführende Idee EOK als Grundschule zu sehen. Toll!
    Ergänzend zu Ihren Ausführungen hinsichtlich der Lehrkräfte kann ich ergänzen: wir kommen fast sämtlich aus Regelschule oder Integrationskursen mit entsprechenden Studien und Zulassungen samt zahlreichen akademischen Zusatzstationen. Im EOK gefällt uns die nahe Bindung mit den Teilnehmenden und die Zeit, die wir uns für sie nehmen dürfen, eben weil der Leistungsdruck fehlt. Für die Grundschule wünsche ich mir diesen Aspekt verstärkt, für den EOK wiederum, dass wir noch mehr auf die Individualität der einzelnen Person eingehen, sie befördern und sie ins Regelsystem geleiten dürfen. So dass EOK wirklich der institutionalisierte Anfang vom Lernen ist. Viele Grüße, Annette König, EOK Koordinatorin, Hamburg

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